Besondere Anforderungen bei pädiatrischen klinischen Studien

Die Durchführung einer pädiatrischen Studie bringt verschiedene Herausforderungen mit sich, wie die Patientenrekrutierung oder die Einholung der Einverständniserklärung. Eltern sind natürlicherweise besorgt um das Wohlergehen ihrer Kinder und zurückhaltend, wenn es darum geht, an einem Forschungsprojekt teilzunehmen, dessen künftiger Einsatz bei Kindern oder Jugendlichen noch unbekannt ist. Zudem ist die Krankheitsprävalenz bei der pädiatrischen Zielgruppe anders als bei Erwachsenen, beispielsweise handelt es sich häufiger um angeborene und seltene Krankheiten. 

Die Durchführung von pädiatrischen klinischen Studien beinhaltet besondere Anforderungen im Vergleich zu Studien mit Erwachsenen:

Kinder sind keine kleinen Erwachsenen.

Spezifische seltene Krankheiten in der Pädiatrie machen einen beträchtlichen und zunehmenden Anteil der pädiatrischen Erkrankungsrate aus und sollten nicht unterschätzt werden: Sie sind von besonderem wissenschaftlichem Interesse und neue Behandlungsansätze entwickeln sich sehr rasch. Aus diesem Grund muss ein pädiatrisches Netzwerk angemessene Einrichtungen für Kinder und deren Familien haben, gut vernetzt sein, so dass Studien von mittlerer bis niedriger Inzidenz durchgeführt werden können, und muss darüber hinaus ein proportional höheres Mass an Zusammenarbeit und zentraler Koordinierung aufweisen als dies bei der Erwachsenenmedizin erforderlich ist.

Da die meisten Erkrankungen eine starke Entwicklungskomponente haben, sind Studien über einen längeren Zeitraum notwendig. Es braucht Langzeitstudien und Datenbankstrukturen, so dass prospektiv langfristige Ergebnisse geprüft werden können. Dies wiederum erfordert koordinierte nationale Anstrengungen, um solche Langzeitstudien, Datenbanken und Biobanken aufzubauen.

Der Mangel an altersbezogenen normativen Daten als auch solchen von gesunden Kontrollgruppen ist in der Pädiatrie enorm. Nur systematische, prospektive Beobachtungsstudien mit gesunden Freiwilligen können eine wirkliche Basis für die Erkennung von Abweichungen bei pädiatrischen Erkrankungen schaffen. Um gesunde Referenzkohorten für die schweizerische Bevölkerung zu schaffen, sind koordinierte Anstrengungen sowie innerhalb eines Netzwerks von koordinierten pädiatrischen Zentren geführte Biobanken dringend notwendig.

Klinische Studien mit Kindern erfordern besondere Einrichtungen und Fachpersonal. Dies beinhaltet besondere Kenntnisse in Bezug auf das Studiendesign, ausgerichtet auf Besonderheiten wie nichtinvasive Diagnoseverfahren und Machbarkeit bezogen aufs Kindesalter, als auch ein für diese junge Altersgruppe angemessenes klinisches Forschungsumfeld. Beispielsweise können Studien mit Frühgeborenen nur mit speziell geschulten Krankenschwestern und Ärzten durchgeführt werden und in einem Umfeld, das an Intensivstationen für Neugeborene angebunden ist, um eine grösstmögliche Sicherheit zu gewährleisten.

Die Sicherheits- und Überwachungsanforderungen für klinische Studien mit Kindern sind hoch. Frühgeborene und Kinder unter 14 Jahren haben einen begrenzten Einblick in als auch ein begrenztes Verständnis über den Zweck der Studie. Daher ist es besonders wichtig, dass hier der Standard an ethischen Überlegungen, Sicherheit und Überwachung von Studien höher ist als bei Erwachsenenstudien. Besonders bei Multizenter-Studien sind beträchtliche personelle und strukturelle Ressourcen nötig. Beispielsweise würde eine Unterstützung für den Erhalt einheitlicher Ethikvoten bei multizentrischen pädiatrischen Studien die klinische Forschung auf diesem Gebiet wesentlich erleichtern.

Abgestimmte Lehrinhalte in der klinischen pädiatrischen Forschung: Die Anwendung der Good Clinical Practice (GCP) Richtlinien sollten in einem pädiatrischen Kontext präzisiert werden. Solche Anstrengungen sollten koordiniert sein.

Das öffentliche Bewusstsein über und die politische Unterstützung für die Bedürfnisse der pädiatrischen Forschung: In der Schweiz gibt es keine Institution, welche ausdrücklich die Bedürfnisse der Kinder vertritt, was besonders deutlich wird beim Versuch, Fördermittel für die pädiatrische Forschung zu erhalten.

Ein pädiatrie-spezifisches Zentrum für europäische Pädiatrienetzwerke: In Finnland, Deutschland und anderen europäischen Ländern beginnen sich pädiatrische Netzwerke herauszubilden, welche so die multinationale Forschung erleichtern. Um für internationale Förderinstitutionen und internationale Unternehmen attraktiv und wettbewerbsfähig zu sein, braucht es den Aufbau von Netzwerkstrukturen, die voll und ganz den Bedürfnissen des europäischen Enpr-EMA Netzwerks entsprechen.

 

Pädiatrie-spezifisches Zentrum für von der Industrie gesponserte Phase 1 - 3 Arzneimittelstudien: Trotz höherer Studienkosten ist die Schweiz aufgrund des Qualitätsniveaus im Bereich Patienten- und Daten-Management und des spezifischen lokalen Fachwissens nach wie vor ein wichtiger klinischer Forschungsplatz. Industriepartner haben aber deutlich signalisiert, dass die Schweiz nur wettbewerbsfähig sein kann, wenn auch Multizenter-Studien durchgeführt werden können. Aus diesem Grund braucht es dringend eine Koordinationsstelle, welche als zentrale Drehscheibe für Industriepartner genutzt werden kann.

Klinische Forschung mit Kindern

Besonders in der Pädiatrie ermöglichen seltene Erkrankungen – angeboren oder erworben – einzigartige Einblicke in pathophysiologische Mechanismen, die auch für erwachsene Patienten gelten; tatsächlich profitieren der erwachsene Patient und sein Arzt öfter von dem, was am kranken Kind in Erfahrung gebracht werden konnte, als umgekehrt. Viele chronische Erkrankungen haben ihren Ursprung im frühen Kindesalter, und langfristige Beobachtungen und pädiatrische Langzeit-Kohorten-Studien tragen massgeblich zum Verständnis der Krankheitsentwicklung bei. Ausserdem gibt es immer mehr Hinweise darauf, dass das frühe Kindesalter eine empfindliche Entwicklungsphase ist, in der sich viele biologische Systeme noch entwickeln und die Organe ihre Entwicklung abschliessen. Gemäss der so genannten Barker Hypothese bestimmen und steuern während dieser frühen Lebensphase viele Umweltfaktoren die normale resp. anormale Entwicklung. Ein besseres Verständnis der in der frühen Organentwicklung involvierten Prozesse liefert einzigartige Möglichkeiten für eine Früherkennung von Krankheiten dank neu entdeckter Biomarker und, in der Folge, frühe präventive und therapeutische Strategien. Letztere sind die Grundlage für das neu entstehende Feld der personalisierten Medizin in der Pädiatrie.

Präventive Strategien und Arzneimittelentwicklung in der Pädiatrie

Die Berücksichtigung neuer Erkenntnisse in der Behandlung von Patienten ist für den Verbesserungsprozess verschiedener Aspekte der Medizin wesentlich, wie die Prävention, Diagnose, Behandlung und den Verlauf von Krankheiten. Jedoch verlangt sowohl die translationale Forschung als auch die Umsetzung neuer Erkenntnisse den Einsatz klinischer Studien, um den Fortschritt der medizinischen Versorgung effizient beeinflussen zu können. Aus Sicht der Kinderärzte besteht im Vergleich zur Erwachsenenmedizin leider eine grosse Lücke bei der Verfügbarkeit sorgfältig durchdachter und lizenzierter diagnostischer oder therapeutischer Instrumente für Kinder. Aufgrund der erheblichen biologischen Unterschiede können Resultate aus Studien mit Erwachsenen nur selten und nur sehr bedingt auf Neugeborene, Kleinkinder, Kinder oder Jugendliche übertragen werden. Zudem sind ein Grossteil der Erkrankungen entweder Kindesalter-spezifisch oder haben ihren Beginn in dem Altersbereich, wo sie eine Auswirkung auf Entwicklung und Wachstum des Kindes haben. Ein „Mangel an Beweisen“ist bei der pädiatrischen Altersgruppe ein oft zitierter Grund für das Nichtdurchführen einer Behandlung, die nach theoretischen Gesichtspunkten erfolgversprechend erscheint. Pharmazeutische Unternehmen sind wenig enthusiastisch, wenn es um das Sponsoring pädiatrischer Studien geht, da die technischen Anforderungen komplizierter sind und der potenzielle Markt kleiner. Zudem sind bei Kindern spezielle pädiatrische Rezepturen nötig, welche die verschiedenen Anforderungen in Bezug auf Körpergewichtsklasse und angemessene Verabreichungsform erfüllen. Dies hat zur Folge, dass Kinder und Jugendliche nicht den gleichen Zugang zu neueren Medikamenten oder Behandlungsformen haben wie Erwachsene und Kindern eine Vielzahl Medikamente verabreicht wird, deren Wirksamkeit und/oder eine anerkannte Indikation nicht belegt ist (bekannt als Off-Label-Use).

Es besteht ein ungedeckter und dringender Bedarf an pädiatrischen klinischen Studien, welche die Patientenversorgung in der Kinderheilkunde fördern und verbessern. Kürzlich hat der Schweizerische Nationalfonds (SNF) als Teil ihrer Langzeitstrategien die Thematisierung der so genannten „Seltenen Krankheiten“ vorgeschlagen. Für diese Erkrankungen können nur sehr schwer anderweitige Fördermittel gefunden werden, obwohl sie wesentliche klinische und gesundheitsökonomische Auswirkungen haben. Pädiatrische Studien entsprechen dem, besonders in Bezug auf ihre langzeitigen Auswirkungen. Eine Investition in die pädiatrische Forschung wird zweifelsfrei einen nachhaltigen Einfluss auf die nächsten Generationen haben.

 

Klinische Studien sind notwendig, um altersspezifische Sicherheits- und Wirksamkeitsdaten zu erzeugen und um den Nachweis unterschiedlicher medizinischer Verfahren zu erbringen. Sie sind nicht auf die Prüfung neuartiger Medikamente beschränkt, sondern decken ein breites Anwendungsspektrum ab, einschliesslich der Prüfung komplexer Krankheitsmechanismen und der vielen Aspekte einer optimalen Patientenversorgung. Die klinische Studie ist der entscheidende letzte Schritt in der translationalen Forschung und ist heute eines der wichtigsten und meistgenutzten Hilfsmittel der medizinischen Forschung.

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